Samnang Sok - ein Lichtblick für Kambodscha

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Samnang Sok hat keine Revolution in Kambodscha angeführt, ist weder Politiker noch Militär. Ob er in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist auch ungewiss. Und doch steht seine Geschichte für ein neues Kambodscha, das sich aus seiner Traumatisierung löst.

Als Samnang Sok 1982 im kambodschanischen Grenzland zu Vietnam geboren wird, ist die Herrschaft der sogenannten Roten Khmer etwa drei Jahre vorbei. Das vier Jahre dauernde menschenverachtende Regime Pol Pots hat zehn Prozent der Bevölkerung, nämlich 1,7 Millionen Menschen das Leben gekostet. Was auf die Schreckensherrschaft folgt, sind weitere Kriege, die für Samnangs Kindheit häufige Flucht und ein Leben im Dschungel jenseits der Zivilisation bedeuten. Hunger und Krankheit sind seine ständigen Begleiter, an Schule ist gar nicht zu denken.

Dabei bestand für Kambodscha, nachdem es von Frankreich 1953 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, große Hoffnung für eine demokratische Entwicklung. Doch das Land wurde durch den Vietnamkrieg von den Amerikanern in einen Krieg gezogen. 1972 begannen die USA auch kambodschanisches Gebiet im Grenzgebiet zu Vietnam zu bombardieren, um den Nachschub für die nordvietnamesischen Kämpfer zu verhindern. Darunter hatte vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden. Viele Kinder wurden Vollwaisen. Und diese wurden ab 1975 Kindersoldaten Pol Pots, der ein Machtvakuum für seine Zwecke nutzte.

Pol Pot und die Roten Khmer eliminierten die Bildungseliten des Landes. Denn der selbsternannte Führer wollte Kambodscha in einen reinen Agrarstaat rückverwandeln. Er und die folgenden Kriege hinterließen ein traumatisiertes Land, das weit mehr als ein Jahrzehnt brauchte, um sich politisch wieder hinreichend zu stabilisieren.

1999 - Samnang Soks Hunger nach Nahrung war einigermaßen gestillt, das Land hatte seit 1993 eine neue Verfassung - blieb für den inzwischen 17-jährigen Analphabeten der Hunger nach Bildung. Die einzige Perspektive, die sich ihm bot, waren die buddhistischen Mönche. Mit der Unterstützung einer Tante konnte er verschiedene Schulen besuchen, so dass er schließlich mit über 20 Jahren die Hochschulreife erlangte.

2014: Stillstand und Wandel

Während sich für ehemaligen Analphabeten Samnang Sok durch private Spenden das ungeheure Glück bot, studieren zu können, lebt ein Drittel der kambodschanischen Gesellschaft von umgerechnet 1,25 US-Dollar am Tag. Dabei ist die Textilindustrie mit 650.000 zumeist weiblichen Arbeitern der größte Devisenbringer des Landes. Doch bei den Arbeiterinnen kam 2014 bei einer 70 Stundenwoche trotzdem nur ein Hungerlohn von 80 US-Dollar an. Hunderttausende gingen Anfang 2014 auf die Straße, um einen Mindestlohn von 160 USD zu erreichen. Vergeblich. 2016 stieg der Lohn in Textil- und Schuhfabriken gerade einmal um 10%.

Das Argument der Fabrikanten damals wie heute: sie müssten für höhere Löhne auch höhere Preise in den Zielländern durchsetzen. Dabei schlagen die Lohnkosten bei den Endpreisen gerade einmal mit 0,4% zu Buche. Unter den Abnehmern der kambodschanischen Textilien und Schuhe in Deutschland sind Adidas, Puma, Deichmann, C&A, Aldi, Lidl und Tchibo. Würden diese Unternehmen ihre Werbeetats jedoch von 9 auf 8% senken, könnten die Arbeiterinnen das Dreifache verdienen.

Ähnlich wie die Streiks der Textilarbeiter blieb ein weiteres Ereignis des Jahres international weitgehend unbeachtet: das Tribunal gegen die Roten Khmer. Das enttäuschende Ergebnis: Gerade einmal zwei Funktionäre der Roten Khmer wurden zu lebenslangen Strafen verurteilt. Die Gründe sind vielfältig: international gab es nur geringes Interesse und 70% der heutigen Bevölkerung Kambodschas haben die Zeit Pol Pots gar nicht erlebt. Auch die Regierung war nicht an einer tiefergehenden Aufklärung interessiert. Sie beharrte auf dem Standpunkt, dass damit die Spannungen in der Bevölkerung wachsen und ein nächster Bürgerkrieg ausbrechen könnte. Doch wer weiß, dass der heutige Premierminister Hun Sen ein Weggefährte Pol Pots war, ahnt, woher der Wind wirklich weht.

2014 ist aber auch ein Jahr der Hoffnung. Samnang Sok hat sein Management-Studium beendet und möchte, was er an Gutem erfahren hat, zurückgeben. Zusammen mit einem Freund gründet er die „Action For Cambodia's Children“, eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich um die Schulbildung von Kindern kümmert.

Zunächst nahm er die Grundschule seines Heimatdorfes in den Blick, indem er Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellte. Er selbst lehrte Hygiene. Später versorgte er die Kinder mit Fahrrädern, damit sie eine entferntere, weiterführende Schule besuchen konnten. Diese durch Spenden getragene Aktion hatte einen durchschlagenen Erfolg. Besuchten vor der Fahrradspende etwa 6% der Schüler eine weiterführende Schule, so waren es nun 95%. Dem vorausgegangen waren viele Gespräche mit Eltern, die einerseits vom Nutzen einer weiterführenden Schule überzeugt werden mussten. Zum anderen zeigten ihm die Eltern, wo ein zentrales Problem für sie lag: im Transport der Kinder.

Samnang Sok weiß: Bildung ist der zentrale Schlüssel, um die kambodschanische Gesellschaft zu verändern. Und die Grundlagen dafür können nur bei den Kindern liegen. Denn, so ist sein Fazit, die Alten verharren in ihren alten Ansichten. Sie sind unfähig, neue Ideen zu adaptieren, selbst wenn sie ihnen nutzen. Der Mönch hat einen glasklaren Blick auf sein Land. Er versteht, was die Kriege an Traumatisierungen in vielen Generationen hervorgerufen haben. Er benennt klar, dass es seinem Volk weitgehend an positiven Werten fehlt. Egoismus, Korruption und Kriminalität sind Ausdruck einer Gesellschaft, deren Gemeinschaftswerte verlorengegangen sind.

Mit seiner Initiative und vielen kleinen anderen Initiativen wird der Samen für eine neue Zivilgesellschaft gelegt.

Im Dezember 2018 veranstaltet das LIW zu dritten Mal eine Bildungsreise (eine Woche als Bildungsreise anerkannt) nach Kambodscha. Dabei lernt die Gruppe auch Samnang Sok und sein Projekt kennen. Ein Teil des Seminarpreises fließt als Spende dem Projekt „Action For Cambodia's Children“ zu.

Aktuelle Veranstaltung des LIW in Kambodscha

Bildquelle: © LIW