Der Libanon-Krieg: drei Jahrzehnte ohne Aufarbeitung

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Was sie tun, ist gefährlich: Monika Borgmann und ihr Mann Lokman Slim bemühen sich im Libanon um die Aufarbeitung des Bürgerkrieges (1975 bis 1990). Mit einem digitalen Dokumentations-Zentrum, an dem die Bürger mitwirken können.

Auf dem Weg zu Monika Borgmann und Lokman Slim müssen Besucher mehrere Checkpoints passieren. Soldaten kontrollieren mit strengem Blick und Maschinengewehr in der Hand jedes Fahrzeug, suchen nach gewaltbereiten Personen. Militärfahrzeuge parken ums Eck.

Die Initiative der einstigen Aachenerin und des Libanesen hat ihren Sitz in Haret Hreik, einem ärmlichen Vorort im Süden von Beirut. Kalaschnikows auf gelb-grünen Fahnen wehen überall neben den asphaltierten Straßen und an den heruntergekommenen Häusern. Sie zeigen unmissverständlich, wer hier das Sagen hat: Haret Hreik ist eine Hochburg der schiitischen Miliz Hisbollah, die eine wichtige politische Größe im Libanon ist.

Viele Beirutis fühlen sich in der ärmlichen, „überwachten“ Gegend eher unwohl. Dennoch haben die hagere Deutsche, die seit 17 Jahren im Libanon lebt, und ihr kleinerer Mann ausgerechnet diesen Ort für ihre Initiative Umam Documentation & Research ausgewählt. Lokman Slim ist überzeugt: Indem man Menschen in ein Ghetto holt, könne man es auflösen.

Geschichtsunterricht endet 1943

Als die Journalistin 2004 den Dokumentarfilm „Massaker“ über den Bürgerkrieg drehte, ist ihr in den Gesprächen aufgefallen: „Viele Familien leiden bis heute, weil sie nicht wissen, was mit ihren Verwandten passierte.“ Offiziell wird über den Krieg nicht gesprochen. In den Schulen endet der Geschichtsunterricht 1943 mit der Unabhängigkeit des Libanons von Frankreich, weil man sich für die Zeit danach auf keine gemeinsame Fassung einigen kann.

Diese Erkenntnisse waren die Geburtsstunde ihrer Initiative. Monika Borgmann und ihr Mann haben in der Nähe ihrer schmucklosen Villa, in dem sie ihr Archiv haben, eine kleine Halle gekauft. Dort finden Workshops, Ausstellungen und Filmvorführungen statt.

Von 1975 bis 1990 tobte der Krieg. Verlief er anfangs entlang konfessioneller Linien, kämpfte bald jeder gegen jeden. Ausländische Kräfte unterstützten die jeweils ihnen nahestehenden Gruppen in dem multikonfessionellen Land. Laut offiziellen Angaben gab es fast 150.000 Tote und knapp 200.000 Verletzte. Etwa 17.000 Personen verschwanden. Sie wurden in israelische oder syrische Gefängnisse gesteckt, ermordet und in Massengräbern verscharrt.

Ein echtes Wirrwarr an Versionen

Jede beteiligte Gruppe, die heute oft als politische Parteien im Parlament vertreten sind, hat inzwischen ihre eigene Version des Geschehens. Diesem Wirrwarr wollen Monika Borgmann und Lokmann Slim mit der Internetseite www.memoryatwork.org eine allumfassende Sichtweise gegenüberstellen. Sie sammeln seit zehn Jahren Zeitungsartikel, Fotos und andere Dokumente von Bürgern. „Diese können uns auch ihre belegbaren Erinnerungen schicken“, erläutert der Libanese, während er an einer Zigarette zieht.

Laut Monika Borgmann kommt ihr Angebot gut bei den Menschen an: „Nach einer Wander-Ausstellung mit Fotos von 500 im Bürgerkrieg verschwundenen Personen haben uns viele Leute geschrieben, die unsere Arbeit unterstützen wollten.“ Schließlich sei der Krieg ein Stachel in den Seelen der Menschen, erst recht seit das Parlament 2001 ein Amnestie-Gesetz verabschiedet hat: „Fast kein Täter wurde zur Rechenschaft gezogen.“

Unterstützung nur von außen

Ihr Projekt bezuschussen unter anderem Dänemark, Spanien, die USA und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland – nicht aber arabische Staaten. Weder der libanesischen Regierung noch der Hisbollah ist an einer Aufklärung durch Umam Documentation & Research gelegen – könnten doch wenig schmeichelhafte Ergebnisse zutage treten.

„Wir werden mit Sicherheit gut beobachtet“, sagt die gebürtige Deutsche und atmet scharf den Rauch ihrer Zigarette aus. Bei der Frage nach möglichen Konsequenzen für seine mutige Arbeit wird Lokman Slim schmallippig: „Darüber möchte ich besser nicht sprechen.“ Schon einmal hatte er wegen eines veröffentlichten Dokuments bei der Behörde für Internetsicherheit vorsprechen müssen – diese kümmert sich auch um unliebsame Journalisten und Blogger. Dennoch denken er und seine Frau nicht ans Aufhören: „Wir wollen helfen, das Puzzle zusammenzusetzen. Auch wenn es eine unendliche Aufgabe bleibt.“

Alexandra Haderlein

Das LIW bietet einen Bildungsurlaub in Beirut /Libanon an und macht sich auf die Suche nach den Spuren des Bürgerkriegs, ebenso wie nach der heutigen Lebenssituation in der pulsierenden Hauptstadt, die heute einen Brückenkopf zwischen Europa und der arabischen Welt darstellt.

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