Shiatsu: Selbstbehandlungs- und Übungssystem für mehr Selbstwirksamkeit

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Shiatsu ist am ehesten bekannt als entspannende Behandlungsmethode – als „Urlaub vom Alltag“ für mehr Kraft und Zugang zur inneren Stärke, um den Anforderungen des Alltags mit Leichtigkeit begegnen zu können. Weniger bekannt ist, dass Shiatsu unter dem Namen Do-In auch ein Übungssystem mit Selbstbehandlungstechniken ist, das zunächst darauf abzielt, die Wahrnehmung des Körpers und von Ki zu ermöglichen und zu stärken.

Grundlegend für Shiatsu ist das japanische Verständnis von Wohlbefinden und Gesundheit, das im Zentrum die persönliche Lebenskraft, das sogenannte Ki, sieht. Dabei ist es das Ziel, das Ki „in Fluss zu bringen“. Ein kraftvolles Ki trägt dazu bei, dass sich das Leben einfach „runder“ anfühlt. Renate Köchling-Dietrich, Shiatsu-Lehrerin, führt aus, wie sich Ki für den Einzelnen äußert: „Sie sind im Einklang mit Ihrer inneren Harmonie und haben Zugang zu Ihren Ressourcen. Wichtig ist, dass das Ki im Körper dort zur Verfügung steht, wo es gebraucht wird. Ist Ki nicht im Fluss, fühlen Sie sich zunächst unwohl, werden leicht übellaunig, schließlich gestresst und möglicherweise sogar krank.“

Ki kann in unterschiedlichen Zusammenhängen erfahren werden:

  • Ki zeigt sich als Ausdruck einer starken Mitte,
  • Ki variiert im Laufe der Zeit, täglich, jährlich und im Leben und
  • Ki ist maßgeblich für die Haltung.

Ki als Ausdruck einer starken Mitte

Das Konzept der inneren Mitte war schon den antiken Philosophen geläufig, in der Neuzeit hat es sich wieder mit der ostasiatischen Medizin verbreitet. In Japan spricht man von Hara, übersetzt als „Bauch“ oder „Quelle des Lebens“. Als Quelle des Ki muss das Hara kraftvoll sein, denn von dort nimmt jeder Lebensimpuls seinen Ausgang. Als starke Mitte schenkt das Hara zugleich Stabilität und Leichtigkeit für die Bewältigung der täglichen Anforderungen. Irgendwo zwischen Ruhe und Aktivität entsteht ein Gleichgewicht, eine starke Mitte, die kein Stillstand ist, sondern vielmehr ein tägliches Ringen um Ausgleich, damit das Ki in Fluss kommen und bleiben kann. In Zeiten erhöhter Anforderungen und stetem Stress erschöpft sich die Quelle. „Es wird schwieriger, den Ausgleich zu erreichen, so dass schließlich der Ki-Fluss gestört ist. Dann geht die Balance verloren und die Mitte, besonders Gelassenheit, kann nur schwer gefunden werden“, erklärt Renate Köchling-Dietrich die Auswirkungen.

Deshalb, sagt die Shiatsu-Expertin, ist es wichtig, rechtzeitig und stetig die Mitte zu stärken. Dieses ist möglich mit ausreichenden Ruhephasen nach Belastungen, Wärmezufuhr nach Kälteeinbrüchen, Ki-fördernde Ernährung nach Fastfood. Weiterhin dienen Atemübungen, Bewegungen aller Art dem Abbau vorhandener Spannungen und von Stress. Eine aktive Körperwahrnehmung sowie Achtsamkeit für sich und das Umfeld helfen, rechtzeitig zu bemerken, was der Einzelne gerade benötigt. Wer dann noch die Übungen in angenehmer Atmosphäre in der Natur ausführen kann, stärkt die Mitte zusätzlich.

Ki im Wandel

Ki fließt zwischen den Polen Yin und Yang, die zusammengehören, sich bedingen und beständig wandeln. Kein Oben ohne Unten, kein Einatmen ohne Ausatmen, keine Aktivität ohne Passivität und: keines ist besser oder wichtiger als das andere.

Zwischen Yin und Yang zeigt sich Ki in unterschiedlicher Ausprägung in den fünf Wandlungsphasen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Als Ganzes beschreiben die fünf Wandlungsphasen den Kreislauf des Lebens. Sie zeigen sich überall: in den Himmelsrichtungen, den Jahreszeiten, dem Klima, in den Pflanzen und Tieren und natürlich im Menschen.

„Das harmonische Zusammenspiel der Wandlungsphasen verleiht Ihnen die Fähigkeit, alle Facetten Ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen und sich lebendig zu fühlen. Die Stärke, die die Wandlungsphasen dadurch verleihen können, erleben Sie als einen Zustand des In-sich-selbst-Ruhens“, erklärt die Shiatsu-Dozentin Köchling-Dietrich.

Gerät der Ki-Fluss in einer Wandlungsphase ins Stocken, kann es zu Befindlichkeitsstörungen, Entwicklungsstörungen aller Art, Festfahren in bestimmten Verhaltensweisen, Konflikten am Arbeitsplatz, Kommunikationsstörungen, Schwierigkeiten bei Entscheidungsfindungen oder Problemen im kreativen Ausdruck kommen. Manchmal zeigen sich diese Störungen immer in einer Jahreszeit oder zum gleichen Zeitpunkt in einem Monat.

Mit speziellen Achtsamkeits- und Wahrnehmungsübungen ist es möglich, Ki als Ausdruck der Wandlungsphasen zu erleben. Mit dem entsprechenden Wissen können Sie selbst erkennen, welche Wandlungsphase gerade Ihre Aufmerksamkeit braucht. Besonders mit Makkoho-Dehnübungen und verschiedenen Selbstbehandlungstechniken wird der Ki-Ausgleich in den Wandlungsphasen angeregt. Das Wissen um die Wandlungsphasen vermittelt ein tiefes Verständnis für den besonderen Ausdruck einer jeden Persönlichkeit – auch für Ihr Gegenüber.

Ki als Haltung

Wenn aufgrund unterschiedlichster Ursachen der Ki-Fluss dauerhaft eingeschränkt ist, zeigt sich dies langfristig in der Körperhaltung. Der Körper reagiert immer – auf jeden Reiz – körperlich und emotional. Dabei finden unwillkürliche und unbewusste Muskelkontraktionen statt, z. B. geht die Schulter hoch, der Nacken verspannt sich, das heißt, der Ki-Fluss stockt. Die Bewegungsmöglichkeiten sind eingeschränkt und, falls dieser Zustand über einen längeren Zeitraum erhalten bleibt, wird er als „Normalzustand“ nicht länger wahrgenommen.

Das Problem: das Körpergedächtnis speichert alle Reaktionen und Erfahrungen des gesamten Lebensprozesses eines Menschen in seiner Haltung. Um hier eine Veränderung zu erreichen, braucht es eine gute Körperwahrnehmung und viel Bewegung. Ein gestärktes Körperbewusstsein trägt dazu bei, der angespannten, unbeachteten Körperteile wieder gewahr zu werden, gerade dort das Ki in Fluss zu bringen und geschmeidige Muskelbewegungen wiederzuerlangen.

Das für die Veränderung der Wahrnehmung und Körperhaltung eingesetzte Übungssystem Sotai wirkt außerordentlich effizient und kann – einmal erlernt – künftig immer wieder allein und vor jeder Bewegungseinheit eingesetzt werden. Aber die ganz eigenen Haltungsmuster und Ki-Blockaden werden leichter erfahrbar in Partnerarbeit, wobei diese in den gegenseitigen Behandlungen schließlich aufgelöst werden können.

Shiatsu – Wohbefinden und Gesundheit als Basis

Die Übungen und Selbstbehandlungstechniken, die zum Shiatsu gehören, sind kein Training, das auf ein konkretes Ziel ausgerichtet ist, z. B. „fit sein“, „Muskeln aufbauen“, „Dehnbarkeit stärken“. Ein wesentlicher Aspekt des D?-In ist das absichtslose Üben, weil Absichtslosigkeit zur Entspannung führt. Geübt wird solange, bis eine Übung automatisch abläuft und das bewusste Denken aufhört.

Dann beginnt das Hineinfühlen in die Bewegung und das Verstehen der Übungsanforderung. In diesem Prozess lassen sich die Ausführenden immer tiefer in das gegenwärtige Erleben ein und loten ihre eigenen Möglichkeiten aus: in der Achtsamkeit, eine der Grundbedingungen für die Wahrnehmung und Bewegung von Ki.

Dabei spielt die Atemschulung eine große Rolle. Anspannung wird immer mit dem Ausatmen verbunden, dies stärkt automatisch das Hara. Beim Do-In geht es darum, die ganze Aufmerksamkeit bewusst auf den eigenen Körper, dessen energetisches Potential und die aktuellen Bedürfnisse zu lenken.

Mit Achtsamkeit wird der Blick für Selbstverständliches geschärft. Es entsteht Ruhe und Gelassenheit sowie mehr Zufriedenheit mit dem, was ist. Die Beziehung zum eigenen Körper verändert sich, der bislang vielleicht ausschließlich kognitive Zugang zum Erleben wird um Erfahren und Spüren erweitert.

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